Wartezeiten
Wenn Sie nun schon eine Wartezeit in Kauf nehmen müssen, nutzen Sie die wenigstens für sich.
Hier gilt, wie für alle psychotherapeutischen Aktivitäten:
Machen Sie Erfahrungen mit den Vorschlägen. Lassen Sie alles, was Ihnen nicht gut tut, umgehend wieder sein.
Vielleicht geht es Ihnen wie mir und Sie empfinden Wartezeit als das, was Sie vom Eigentlichen trennt, was Sie hinter sich bringen müssen. Was, wenn es gelänge, das anders zu sehen, anders zu bewerten? (Der Versuch lohnt sich übrigens immer bei Dingen, die wir nicht ändern können.) Einer der Gründerväter der Psychotherapie hat gesagt, die Therapie beginnt, wenn man sich mit dem Entschluss dazu auseinandersetzt. Was also, wenn diese Prozesse die Voraussetzung für Psychotherapie sind? Was, wenn diese Wartezeit-Aktivitäten die Psychotherapie verkürzten?
Schreiben Sie Tagebuch.
Schreiben Sie auf, was Sie bewegt, wie sich das anfühlt, was für Gefühle das bei Ihnen hervorruft, welche Gedanken Ihnen dazu durch den Kopf gehen. So gut Sie können, versuchen Sie dabei, nett zu sich zu sein. Ich weiß, wenn Sie das schon könnten, würden Sie vermutlich keine professionelle Hilfe brauchen. Aber das heißt nicht, dass Sie das nicht lernen können. Üben Sie, ihren Tag freundlich zu kommentieren. Manchmal hilft es, sich vorzustellen, was die beste Freundin/der beste Freund oder irgendein lieber Mensch aus Ihrer Vergangenheit dazu sagen würde. Denken Sie daran: schlimme Dinge passieren auch guten Menschen.
Klären Sie Ihre Ziele für die Psychotherapie.
Was wird anders sein nach einer erfolgreichen Therapie? Beschreiben Sie das so detailliert wie möglich. Auch wenn die Versuchung groß ist, einfach zu sagen, dann wäre ich für immer glücklich, so ist das nach meiner Erfahrung kein erreichbares Ziel. Besser, Sie stellen sich konkrete Situationen vor, die Sie dann anders (wie?) bewältigen würden. Was für Fähigkeiten möchten Sie erwerben? Malen Sie sich so genau wie möglich eine Situation oder einen Tag in 5 Jahren aus. Was brauchen Sie alles, um dahin zu kommen? Auch wenn es schwer fällt: ein positives Ziel motiviert mehr als die Vermeidung eines negativen.
Schreiben Sie Ihre Träume auf.
Unser Gehirn arbeitet eigentlich nur nachts im Schlaf so richtig gut. Das tut es auch, wenn Sie sich am nächsten Morgen nicht erinnern. Übrigens erinnert man sich leichter an Träume, wenn man sich das beim Einschlafen vornimmt und Papier und Stift neben dem Bett zum sofortigen Notieren, auch mitten in der Nacht, liegen. Malen oder zeichnen Sie etwas aus Ihrem Traum. Falls es ein "schlimmer" Traum ist, machen Sie sich klar, dass das Träumen schon ein wichtiger Verarbeitungsschritt ist. Überlegen Sie, welchem wohlwollenden Menschen (real, in der Fantasie oder aus der Vergangenheit) Sie den Traum erzählen können und wie diese Person Sie trösten und beruhigen würde.
Bewegung an frischer Luft
Ich persönlich musste ziemlich alt werden, um diesem lästigen Rat meiner Mutter Glauben zu schenken. Inzwischen gibt es eindeutige Forschungsergebnisse: beides wirkt effektiv gegen Depression und gegen Ängste. Versuchen Sie, sich von Ihren früheren schlechten Erfahrungen mit Sport zu lösen; das wollen Sie nicht wiederholen und das meine ich auch gar nicht. Aber vielleicht fällt Ihnen irgendeine Bewegungserfahrung aus all Ihren verschiedenen Lebensphasen ein, die Ihnen mal Spaß bereitet hat? Damals die Sonntagsspaziergänge mit Oma. Oder das Rumtoben auf dem Spielplatz oder dem Pausenhof der Grundschule. Sind Sie mal geritten oder gesegelt? Wann und wo hat welche Bewegung im Wasser mal Spaß gemacht? Haben Sie es mal genossen zu tanzen, einfach so? Wie könnte so eine gute Bewegungserfahrung sich in Ihre heutigen Möglichkeiten übertragen lassen? Nichts davon muss aufwändig sein, oder teuer oder anstrengend. Ganz im Gegenteil. Fangen Sie ruhig klein an, mit 10 Minuten Spaziergang um den Block oder besser noch in einem nahe gelegenen Park. Wichtig ist, dass Sie anfangen. Gehen Sie der winzigen, kaum merkbaren Spur dessen nach, was Ihnen gut tut.
Machen Sie Ihre Schritte in Richtung Ziel so klein wie nötig, um Erfolgserlebnisse zu haben statt Enttäuschungen zu erleben. Falls Sie es mal nicht hinkriegen, verzagen Sie nicht, sondern steigen Sie einfach am nächsten Tag wieder ein.
In der Natur zu sein, uns als einen Teil von ihr zu erleben, tut einfach gut. Stärkt die Abwehrkräfte. Baut Stresshormone im Blut ab. Gibt uns eine andere Perspektive. Relativiert vielleicht sogar ein wenig unser Leiden.
Lernen Sie eine Entspannungstechnik.
Vermutlich wird Sie das nicht gesund machen. Aber zuviel Stresshormone im Blut machen die meisten Krankheiten schlimmer und Entspannung fördert Erholung und Reparaturvorgänge und gibt Kraft. Die brauchen wir ja, um mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen. Suchen Sie sich etwas aus, was Sie anspricht und Ihnen Vergnügen bereitet. Sportverein, Volkshochschule, Familienbildungsstätte oder Ähnliches bieten immer wieder Kurse an. Wenn Sie still Sitzen und Ruhe eher anstrengt, suchen Sie sich etwas aus, wobei man sich bewegt: Tai Chi, Yoga, QiGong. Wenn Sie Stille bevorzugen, bieten sich Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation oder eine der vielen Arten von Meditation im engeren Sinne an. Beide Anteile sind z. B. in den Varianten Kundalini Meditation, Dynamische Meditation und 5 Rhythmen nach Gabrielle Roth enthalten.
Aktivieren Sie Ihre Kraftquellen.
Was immer Ihnen einfällt, was Ihnen schon mal in Ihrem Leben gut getan hat, tun Sie es. Jetzt, diese Woche noch. Oder tun Sie den nächsten Schritt zur Planung und morgen dann den nächsten. Das kann Sauna, Schaumbad, Massage, was wirklich Leckeres zu essen sein, Blumen für Sie, oder Malen, Tanzen, Singen, oder jemandem etwas Nettes tun (allen voran sich selbst!), oder einfach nur die Seele baumeln und den Gedanken mal zweckfrei und ziellos freien Lauf lassen (nur, falls Ihnen das gut tut!). Was auch immer. Weitere Anregungen gibt's übrigens in Jennifer Loudens Buch "Tu Dir gut! - Wohlfühlbuch für Frauen".
Machen Sie Achtsamkeits-Übungen.
Fokussieren Sie so gut es geht Ihre Aufmerksamkeit, z.B. solange Sie an der roten Ampel stehen, ein paar Atemzüge lang auf die Rücklichter des Autos vor Ihnen. Nehmen Sie dabei alles, was Ihnen Ihre fünf Sinne an Informationen geben, einfach wahr. Wann immer Sie merken, dass Sie an einem Gedanken oder einem Gefühl hängenbleiben, benennen Sie das und gehen Sie wieder mit Ihrer Aufmerksamkeit zu den Rücklichtern zurück.
Oder nehmen Sie sich beim Zähneputzen aufmerksam wahr: wie fühlt sich die Bewegung des Armes an, der Hand, wie schmeckt und wie riecht die Zahnpasta, was für eine Konsistenz hat sie jetzt, was für Geräusche nehmen Sie wahr, wie fühlt es sich an, so zu stehen, welche Körperpartien nehmen Sie wahr? Wo geht Ihre Aufmerksamkeit hin? Und was ist noch da? Wann immer Sie merken, dass Sie einen Gedanken oder ein Gefühl weiter verfolgen möchten, gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zurück zum Zähneputzen.
Noch ein Wort zum Umgang mit Ängsten:
Ängste haben eine Tendenz zu wuchern, wenn wir sie nicht im Zaum halten.
Versuchen Sie, so gut Ihnen das möglich ist und mit aller Unterstützung, die Sie mobilisieren können, so wenig wie möglich das Ängstigende zu vermeiden. Die Dosis macht's: zuviel Konfrontation könnte Sie überwältigen, zuviel Vermeidung lässt die Ängste größer werden. Versuchen Sie, immer bis an Ihre Grenzen zu gehen, nie darüber hinaus.Hört sich sehr viel leichter an, als es ist - ich weiß. Nehmen Sie Ihre Erfahrungen ernst und richten Sie die Dosis immer wieder neu danach aus.
Das gilt nicht für Trauma. Für diese Entscheidung brauchen Sie wahrscheinlich eine professionelle Einschätzung. Sie missbrauchende oder gar gefährdende Personen sollten Sie unbedingt meiden. Und sich dazu Hilfe holen, wenn Ihnen allein das kaum möglich erscheint.
Verzagen Sie nicht!
Jedes Warten hat mal ein Ende.
Wenn keine meiner Anregungen gut für Sie ist oder Sie vielleicht denken, wenn ich schon irgendetwas davon für mich tun könnte, bräuchte ich doch keine Therapie - nehmen Sie es als meine dringenden guten Wünsche für Sie. Ich bin nicht die Einzige, die Ihnen wohl will. Ich weiß das schon und Sie werden es mit der Zeit auch noch entdecken. Manchmal brauchen gute Dinge leider elendiglich lange Zeit. Die sich im Nachhinein gelohnt haben wird.